Mai/Juni 2005 – JAZZ ‚N‘ MORE

Klang – Boden – Ständig – Tanzend

Unten das Bodenxylophon Xala, ein 4.5 m2 grosser Koloss von 400 Kilogramm Gewicht, darauf spieltanzt leichtfüssig eine elegant-athletische Frau, gespannt bis in die Haarspitzen. So einzigartig wie ihr Instrument ist auch die Performance der Berner Tonus-Musikerin Ania Losinger, die kürzlich ihr neues Programm “New Ballet for Xala” auf CD und DVD veröffentlicht hat.

Es gibt weltweit wohl nur ganz wenige Instrumente, die als reine Prototypen existieren und dazu noch regelmässig auf einer Bühne zum Einsatz kommen. Die Berner Künstlerin Ania Losinger spielt auf einer solchen Einzelanfertigung namens “Xala”, einem Riesenxylophon, welches sie über Jahre hinweg zusammen mit dem Kaiserstuhler Instrumentenbauer Hamper von Niederhäusern von Grund auf entwickelt hat. Sehr eigen ist auch die Musik, die Losinger auf der Eigenkonstruktion spielt, es handelt sich um eine moderne Form von Minimal Music. Repetitive Rhythmusmuster und schwebende Melodielinien von meditativem Charakter prägen ihren ganz persönlichen Sound. Auf der Xala spielt sie praktisch ausschliesslich Kompositionen aus der Feder des Klarinettisten und ehemaligen Saxofonisten Don Li, der sich als Gründer und treibende Kraft innerhalb der stetig wachsenden Berner Tonus-Family in den letzten Jahren als feste Grösse in der Musikszene einen Namen gemacht hat. Wie ist es überhaupt möglich, für dieses Instrument zu komponieren, wenn man es selber nicht spielt? “Don hat auf einem Karton ein Modell des Xala gezeichnet, die entsprechenden Töne eingetragen und anschliessend mit zwei Fingern meine Schrittfolgen simuliert. Es ist aber schon sehr erstaunlich, wie gut sich bis auf ganz wenige Passagen Dons Stücke auf dem Xala umsetzen liessen,” erklärt Losinger.

Vom Flamenco zum Xala

Früher hat Ania Losinger lange Jahre Flamenco getanzt und sich dabei die Fähigkeiten der rhythmischen Tanzschritte angeeignet, die sie nun auf der Xala zur Anwendung bringen kann. Obschon es sich dabei um andere Schritte und eine andere Musik handelt, sind gewisse Parallelen offensichtlich. Bereits während ihrer Zeit als Flamencotänzerin pflegte Losinger zu Auftritten ihren eigenen Tanzboden mitzubringen, um sich nicht auf die jeweilige örtliche Bodenstruktur einstellen zu müssen. Daraus ist später die zündende Idee für die Entwicklung der Xala geboren. Der Wunsch nach einem Tanzboden mit verschiedenen Tönen hat sie nach bald einmal verworfenen Plänen, das Ding selber zu bauen, schliesslich zu Hamper von Niederhäusern geführt. Dieser zeigte sich sogleich hell begeistert von der Idee und machte sich im ständigen Austausch mit Losinger daran, das Bodenxylophon zu konstruieren. Neben dem grossen hat von Niederhäusern auch eine “kleine” Xala namens Tanzmeter gebaut (halb akustisch, halb elektronisch), welches nur einen Quadratmeter misst und einen reduzierten Tonumfang bietet. Diesen Tanzmeter setzt Losinger bis jetzt vorwiegend bei ihren Soloauftritten ein. Mittlerweile existiert bereits eine zweite Version der grossen Xala. Dieses hat im Vergleich zur ersten eine komplett neue Anordnung der Töne und bietet wesentlich grössere harmonische Möglichkeiten, in allen Tonarten zu spielen. Das erste Modell hatte mit F und Fis nur gerade zwei eigentliche tonale Zentren.

New Ballet for Xala

Ein ganzes Jahr lang hat Ania Losinger an ihrem neuen, bisher ambitioniertesten Projekt “New Ballet for Xala” gearbeitet. Es handelt sich hierbei um ein ständiges Programm für Xala und Streichquartett, welches Anfang dieses Jahres als CD und DVD erschienen ist, aber auch an mehreren Konzerten im Berner Tonus-Labor live zur Aufführung gelangte. Als Knackpunkt der ganzen Sache hat sich die Synchronisation der eingefangenen Bilder mit den Audio-Aufnahmen aus dem Tonstudio erwiesen. Die Veröffentlichung der vom preisgekrönten Musikvideo- und Filmemacher Pierre-Yves Borgeaud im “One Shot”-Verfahren aufgenommenen DVD trägt dem Umstand Rechnung, dass dem Visuellen in Losingers Musik eine entscheidende Rolle zukommt. Die Wirkung auf den Zuschauer ist ungleich grösser, wenn er die konzentrierten Bewegungen mitverfolgen kann, die dieser Musik zugrunde liegen. Das junge Tonus String Quartet verleiht dem Gesamtsound eine zusätzliche Dimension, abgerundet wird die ganze Sache mit Don Lis dezent programmierter Elektronik. Eine weitere Gelegenheit, das faszinierende Projekt auf der Bühne zu erleben, bietet sich bereits am Mittwoch 18. Mai in Schaffhausen, wenn Losinger am dortigen Jazzfestival mit ihrem “New Ballet for Xala” das Eröffnungskonzert bestreitet.

Eine eigene Ästhetik

Das eigentlich Herausragende an Ania Losingers Musik ist aber weder das spezielle Instrument noch die bemerkenswert flinke Fussfertigkeit, mit der sie die klobige Xala bedient. Die Bewunderung gilt der kompromisslosen Haltung und vollkommenen Konzentration, mit der sie ihre Musik und ihr Ziel verfolgt. Diese zutiefst unschweizerische Haltung teilt sie im übrigen mit den meisten anderen Vertretern des Tonus-Kuchens, allen voran Don Li und Nik Bärtsch. Da gibt’s kein Zaudern und kein Deuteln, diese Leute sind ganz einfach von ihrem Ding eingenommen und tragen es mit vollster Überzeugung in die Welt hinaus. Diese glasklare Haltung widerspiegelt auch zu einem guten Teil die Ästhetik ihrer Musik, deren oberflächlich scheinbare Kargheit sich in Wahrheit als unheimliche Reichhaltigkeit im Detail herausstellt. Somit lässt sich sagen, dass es Ania Losinger geglückt ist, ihre eigene Klangästhetik zu etablieren, etwas, wovon die meisten Musiker nur träumen können. Allein dafür gebührt ihr höchster Respekt.

Marcel Benedikt